Donnerstag, 20. November 2014

"Blumenwiese"







Lichtkünstler:
Wolfgang Flammersfeld
aus Unna/Westfalen

Fotos: RH am 26. Oktober 2014 "Herbstleuchten" im Maxipark Hamm

Dienstag, 18. November 2014

Tanz der Falter




Lichtkünstler:
Wolfgang Flammersfeld
aus Unna/Westfalen

Fotos: RH am 26. Oktober 2014 "Herbstleuchten" im Maxipark Hamm

Sonntag, 16. November 2014

Grablichterblues



Auf dem Weg über den Parkplatz flatterten mir die Blätter um die Beine, schön bunt, doch gar nicht lustig, verbesserten meine Laune keinesfalls. Die war nämlich grauer als grau. Dunkelstgrau. Der Blues. Ja, das war er, ließ sich nicht abschütteln. Andere hatten wenigstens um diese Jahreszeit einen Dämon, ich hatte nur diesen Blues in allen möglichen Facetten, musste jetzt womöglich wieder wochenlang mit ihm herumlaufen, mal dem Wetter-Geht-Mir-Auf-Den-Keks-Blues, dann dem Ist-alles-nicht-mehr-wie-früher-Blues und eben in diesem Moment mit dem Erinnere-mich-nicht-an-den-Tanz-Blues. Niemandem hatte ich die Gruselstory erzählt, mir würde sie ohnehin niemand glauben. Wie ich nur so dusselig sein konnte und dieser Ausgeburt von Raffinesse auf den Leim gehen, der Frau, die überhaupt nicht tanzen konnte und wie ein hölzernes Gerät über die Fläche geschoben, gezogen und gezerrt werden musste, selbst beim allereinfachsten Blues. Dieses Tanzgerät entpuppte sich als hinterlistiges Miststück, wollte mir weismachen, mich aus einem früheren Leben zu kennen, erzählte mir was von einem weißen Schimmel, den ich abends unter einer Weide am Fluss abgeholt hätte und auf dem ich fortgeritten wäre und behauptete, am Ende der Straße zu wohnen. Dort war jedoch kein Haus, wie ich eigentlich hätte wissen müssen, ich Depp. Und mir war es noch immer ein Rätsel, mit welchen Mitteln sie es geschafft hatte, mich an der Nase herumzuführen. Also, am Ende der Straße war nämlich der Friedhof. Dahin hatte sie mich gelockt, mitten in der Nacht. Naiv, wie ich war, konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, auf das Gräberfeld zu schleichen, natürlich bei Vollmond, versteht sich. Über der Leichenhalle stand der und warf einen riesigen Schatten auf den Weg zwischen den Bäumen. Und da! Ich traute meinen Augen nicht. Vor dem Portal wartete schon ebendiese Bluestanzfrau auf mich, fixierte mich mit saugendem blauem Blick und schwebte auf mich zu. Wahnsinnig verlockend sah sie aus in dem sachte wehenden, silbrigglänzenden Gewand. Ihr Lächeln war hinreißend.
„Da bist du ja endlich“, flüsterte sie. „Wie ich mich nach dir gesehnt habe!“
Ein kalter Hauch berührte mich, als sie die Hände nach mir ausstreckte.
„Warum bist du hier?“, stotterte ich.
„Deinetwegen.“
Ich verstand nichts mehr.
„Von weit her bin ich gekommen.“
„Aber wir haben doch gerade erst miteinander ...“
„Ja, ja“, hauchte sie. „Es war so schön.“
„Ich verstehe nicht.“
„Lass uns fliegen.“
„Wie das denn?“
Mir wurde schwummerig. Wäre ich doch niemals hierher gekommen, auf diesen Gottesacker!
„Fliegen. Nur wir zwei“, fuhr sie fort.
„Du bist doch tot, sonst könntest du nicht … sonst wärest du nicht hier.“
Oder doch? Mich schauderte. Ich wollte weglaufen, kam aber nicht von der Stelle.
„Ich sehne mich nach deiner Wärme.“
Ganz leise war ihre Stimme.
„Umarme mich.“
Ich ging einen Schritt zurück.
„Drück mich an deinen Körper, bitte“, flehte sie und kam näher.
„Ich kann nicht.“
„Doch, du kannst.“
„Lass mich gehen!“, wehrte ich ab.
„Warum willst du vor mir fliehen?“
„Ich bin noch nicht so weit.“
„Begreife doch, mein Liebling.“
„Was soll ich begreifen?“
„Ich will dich nicht hinüberziehen. Du kommst freiwillig.“
„Nein, es geht nicht.“
„Wir werden glücklich sein.“
„Nein!“
„Lieben will ich dich, damit du nicht mehr traurig bist.“
„Was meinst du?“
„Nur ab und zu. Dann bin ich auch nicht mehr traurig.“
„Nein, nein. Ich muss jetzt gehen.“
Ich tastete mich rückwärts. Voller Sehnsucht sah sie mich an, folgte mir mit ausgestreckten Armen und ihrem unwiderstehlichen Lächeln. Je schneller ich mich fortbewegte, desto näher kam sie. Ich wagte nicht, mich wegzudrehen und ging Schritt für Schritt weiter, so schnell ich konnte, bis mein pochender Schädel an etwas Hartes stieß.
Das Friedhofstor.
Das verdammte Weib aus jener Sommernacht verfolgt mich doch noch immer, dachte ich.
Dabei kannte ich die Bluestanzfrau inzwischen ganz anders. Vom Esoteriktrip hatte ich sie heruntergeholt und sie hatte mir beigebracht, wie ich auch mit einer unbegabten Tänzerin Blues tanzen konnte.
Ich ging durch die Blätterallee, den Weg zwischen den Gräberreihen, den meine Beine schon fast automatisch machten, mit oder ohne die gelbe Gießkanne, denn gelb mochte sie, die üblichen grünen lehnte sie ab. Heute bei dem useligen Wetter also ohne Gießkanne. Am Wasserbecken vorbei nach links, drei Gräber weiter, dann wieder nach links zum weißen Marmorgrabstein mit dem Bild, oval gerahmt, wie sie es gewünscht hatte, nach ihren Vorgaben über dem dunkelgrauen Schriftzug platziert. Ja, die weißhaarige Frau da auf dem Foto war sie, wie sie leibte und lebte, hatte ja nur noch mich, ihren Augenstern, so nannte sie mich oft, das Beste, was ihr in ihrem Leben passieren konnte, das Allerbeste, ihr Eins und Alles. Ihr Lächeln sollte mir erhalten bleiben, ein Lächeln, das nie vergehen würde. Nur für mich. Unwiderstehlich.
„Wie läufst du denn wieder herum, Junge? Ohne Jacke. Du wirst dich erkälten. Zieh dich beim nächsten Mal warm an. Denk auch an den Schal. Du weißt doch, die kalte Jahreszeit hat’s in sich.“
„Ja, Mama.“
„Und deine Haare. Wie das aussieht! Geh mal wieder zum Frisör.“
„Jaha.“
„Gegessen hast du auch noch nichts. Ich sehe es dir doch an. Wie oft muss ich dir das noch sagen? Du treibst Raubbau mit deiner Gesundheit. Kein Gramm zugenommen hast du seit dem letzten Mal, eher sogar abgenommen, so blass, wie du wieder bist. Wann wirst du endlich erwachsen?“
Ich hatte ausgiebig gefrühstückt, mit Lachs, Käse, Schinken, Gürkchen, Tomaten, Radieschen und einem traumhaften Müsli. Nicht allein. Und das würde ich jetzt immer so machen. Immer so, wie ich das wollte. Genau so. Doch das musste ich ihr ja nicht erzählen.
„Schau, Mama, heute zünde ich drei Kerzen für dich an, damit du dich freust, okay?“
Sie blieb stumm.
„Dann bis zum nächsten Mal, Mama.“
Auf dem Weg zum Auto wurde der Grablichterblues in meinem Kopf immer leiser, bis er gar nicht mehr zu hören war.

Text und Foto © Renate Hupfeld am 14. November 2014 auf dem Nordenfriedhof in Hamm



Kurzgeschichte aus dem E-Book: Hammfiction

Sonntag, 9. November 2014

Mittwoch, 5. November 2014

Sieben





In einem Vogelpark irgendwo in der Heide lebte ein Pfau, der einmal der schönste Vogel weit und breit gewesen war. Er hieß Peacock. Diesen Namen hatte ihm ein kleiner Junge aus Amerika gegeben, zu Zeiten, als die Leute noch von weit her kamen, um ihn zu sehen, wenn er an sonnigen Nachmittagen über die Wiese stolzierte und seine langen Schwanzfedern auffächerte zu einem Pfauenrad in schillerndem Türkis. Nach dem Tod seiner Frau waren die glücklichen Zeiten vorbei. Peacock war der einsamste Vogel im Park. Er wurde von Tag zu Tag schwächer und traute sich bald nicht mehr auf die Wiese zu den Menschen.
Als eines Tages ein anderer Vogel von den Parkbesuchern bewundert wurde, konnte er das Elend nicht länger ertragen. Durch ein Loch im Zaun schlüpfte er hinaus und ging los. Nur weg von diesem Ort! Irgendetwas würde er schon finden, vielleicht sogar ein bisschen Freude. Der Weg führte über weite Felder auf einen schmalen Pfad im Wald. Das Laufen fiel ihm schwer, doch er kämpfte sich weiter, selbst als nach einer Weile das Gestrüpp sehr dicht wurde. Unter einem modrigen Baumstamm fand er einen Platz für die Nacht und schlief sofort ein.
Am nächsten Morgen sah die Welt gar nicht mehr so trostlos aus. Die Sonne blinzelte durch die Blätter, sie machte den Wald hell und grün. Und plötzlich entdeckte er, dass er nicht allein war. Eine Ziege hockte neben ihm und beobachtete ihn still.
„Wer bist du denn?“, fragte Peacock erstaunt.
„Frage lieber, wer ich einmal war und warum ich mich hier verstecke“, antwortete die Ziege. „Ich war für meine Beweglichkeit bekannt. Kein Berg war mir zu hoch, kein Hang zu steil und keine Felsspalte so breit, dass ich nicht hinüber springen konnte. Jedes Jahr konnte ich ein Junges aufziehen, so kräftig war ich.“
„Und was führt dich nun ausgerechnet hierher in dieses Dickicht?“
„Ein Unglück. Ich bin in einen Abgrund gestürzt. Mit Mühe konnte ich mich befreien. Doch es war vorbei mit Klettern und Springen. Meine Kinder waren über alle Berge und ich war ganz alleine. Ja, ja, wie das Schicksal so über einen hereinbrechen kann! Dich hat’s ja wohl auch böse erwischt, sonst wärest du doch in einem feinen Park und nicht einsam hier im wilden Wald.“
„Ich war die Attraktion des Vogelparks“, schwärmte der Pfau. „Mit Frau und Kind wohnte ich gemütlich in einem schönen Nest, bis der Parkdirektor unseren Sohn verkaufte und meine Frau vor Kummer starb.“
„Traurig, traurig“, sagte die Ziege.
Während sie gemeinsam die Brocken verspeisten, die sie zum Frühstück gesammelt hatte, Würmer und Larven für den Pfau, Blätter und Wurzeln für sich selbst, erzählte Peacock weiter von den glücklichen Zeiten und wie sehr er sich wünschte, noch einmal sein türkis schillerndes Pfauenrad aufzufächern.
Gemeinsam schleppten sie sich weiter.
„Was meinst du, wie viele Tage wir noch gehen müssen?“, fragte die Ziege, als sie am Abend unter einem Strauch nebeneinander lagen.
„Kommt Zeit, kommt Rat“, sagte der Pfau und schlief wieder auf der Stelle ein.
Am nächsten Morgen gingen sie weiter wie tags zuvor, bis ein Hahn in den Wald gestolpert kam.
„Was ist denn mit dir los?“, fragte Peacock. „Wie dein schöner roter Kamm so schlaff herunterhängt. Nach Chef vom Hühnerhof sieht das nicht gerade aus!“
„Eher zum Herzerweichen“, ergänzte die Ziege. „Erzähl mal, was dir passiert ist, Hahn.“
„Die Bauersleute meinten, es gäbe nicht mehr genug Küken. So holten sie einen jungen Gockel auf den Hof und die dummen Hühner haben nur noch Augen für ihn. Dem Angeber schieben sie die leckersten Körner hin und ich soll zusehen. Das kann doch nicht alles gewesen sein, hab ich mir gedacht, und bin weggegangen.“
„Komm mit uns, wo zwei sind, können auch drei sein“, sagte der Pfau.
Zu dritt gingen sie weiter, bis sie einen Schlafplatz für die Nacht fanden.
„Wetten, dass wir morgen wieder jemanden finden, den das Unglück getroffen hat?“, überlegte die Ziege.
„Kommt Zeit, kommen Freunde“, sagte Peacock und schlief wieder schnell ein.
Als sie am nächsten Tag eine Weile gegangen waren, stand plötzlich ein Esel mitten im Weg und wollte sie nicht vorbei lassen.
„Nicht so störrisch, altes Grautier. Uns kannst du nichts vormachen. Glücklich siehst du nicht gerade aus. Sag’s doch frei heraus, dass du Kummer hast.“
„Stimmt ja, was du sagst, kluger Pfau“, meinte der Esel. „Kummer ist gar kein Ausdruck. Meine glücklichen Tage sind längst vergangen. Mein Fell ist struppig geworden, ich werde nicht mehr gebraucht. Selbst die Ponys auf der Weide stoßen mich weg. So macht das Leben keinen Spaß mehr. Ich sehe, ihr seid zu dritt. Wenn ich mich zu euch gesellen könnte, ging’s mir vielleicht besser.“
„Wo drei sind, können auch vier sein“, sagte der Pfau und sie gingen zu viert weiter. Am Abend fanden sie wieder einen guten Schlafplatz und jeder träumte von der Überraschung, die der nächste Tag vielleicht bringen würde.
Die ließ dann auch nicht lange auf sich warten. Unter einem Busch hockte eine Gans. Ängstlich lugte sie zwischen den Ästen hervor.
„Was ist mit dir? Du zitterst ja, dass der ganze Busch bebt.“
Zögernd kroch sie heraus.
„Ach guter Pfau“, stöhnte die Gans. „Mein Jüngling, der mich die ganze Zeit auf dem Arm getragen und mir zu Fressen gegeben hat, weil ich so goldig war, ist durch mich der Bräutigam einer Königstochter geworden. Er hatte nur noch Augen für seine Liebste und vergaß mich. Da bin weggeflogen und dabei ist dieses Malheur passiert.“ Sie zeigte auf ihren Flügel, der kraftlos herunterhing. „Eigentlich will ich nur noch sterben. Was soll ich denn noch hier?“
„Nein, nein, nein!“ Peacock schien fast ein wenig zornig. „Das wird schon wieder. Dein Flügel ist gebrochen, das braucht Zeit. Komm derweil mit uns. Laufen kannst du doch. Wo vier zusammen sind, können auch fünf sein.“
Und schon watschelte die Gans mit in der Reihe. Nachdem die Fünf die Nacht unter einer Hecke verbracht hatten, gingen sie am nächsten Morgen weiter, schon darauf wartend, dass auch an dem Tage wieder ein Tier Hilfe brauchte. Prompt lief ihnen ein kleines Schwein mit heftig wirbelndem Ringelschwanz entgegen und wollte schon vorbeirennen.
„Halt, was ist denn mit dir los, Schweinchen?“, fragte der Pfau, der nach den Erlebnissen der vergangenen Tage seine Einsamkeit völlig vergessen hatte.
„Ich hatte mir ein schönes Haus gebaut, in dem ich alles hatte, was ich zum Leben brauchte und in dem ich in Frieden wohnen wollte“, antwortete das Schwein. „Doch dann klopfte der Wolf an die Tür. ‚Kleines Schweinchen, kleines Schweinchen, lass mich rein’, schmeichelte der, hatte natürlich Kreide gefressen, doch darauf fiel ich nicht herein. ‚Nein, nein, nein, nicht im Traum lass ich dich rein’, rief ich hinaus. ‚Dann werde ich husten und prusten und dein Haus einfach umpusten’, brüllte er voller Wut und rüttelte und schüttelte so heftig an meinem Häuschen, dass ich’s mit der Angst bekam. Da bin ich durch die Hintertür entwischt und weggelaufen, so schnell ich nur konnte. Seitdem bin ich auf der Flucht.“
„Komm mit uns. Wo fünf sind, können auch sechs sein. Und vor dem Wolf musst du dich gar nicht mehr fürchten. Wenn er kommt, kratze ich ihm die Augen aus, so wahr ich Peacock heiße.“
„Und ich meckere ihn gehörig an“, sagte die Ziege.
„Ich krähe dem Bösewicht so laut ins Ohr, dass ihm Hören und Sehen vergeht“, meinte der Hahn.
Der Esel versprach, ihm mit dem Huf einen Tritt in den Bauch zu versetzen und die Gans wollte ihm mit ihrem gesunden Flügel so heftig vor den Augen herumflattern, dass er sofort Reißaus nehmen würde. Da beruhigte sich das Schweinchen und konnte endlich wieder eine Nacht lang schlafen.
Als Peacock sich am nächsten Morgen mit seinen fünf seltsamen Gesellen auf den Weg machte, dachte er darüber nach, wie es mit ihnen weiter gehen könnte. Er meinte, dass es nun an der Zeit sei, eine Bleibe zu finden. Sie konnten doch nicht ewig so weiter wandern. Er grübelte und grübelte, doch es wollte ihm nichts Rechtes einfallen. Als er am Rande eines Weizenfeldes einen Fuchs erblickte, der dort ganz allein saß und in den Himmel schaute, spürte er, dass es mit seiner Hilfe eine Lösung geben könnte.
„Hallo Fuchs, was machst du denn da?“, fragte er.
Der Fuchs erschrak, doch nur ganz kurz.
„Ich sitze hier seit Jahr und Tag und schaue zu den Sternen. Darüber bin ich zwar grau geworden, aber ich will die Sterne anschauen, solange ich lebe.“
„Auch am hellichten Tag?“
„Die Sterne sind immer da, bei Tag und bei Nacht. Auf einem von ihnen wohnt mein Prinz. Er lächelt mich an. Davon kann ich gar nicht genug bekommen und er auch nicht.“
„Deinen Prinzen darfst du natürlich nicht enttäuschen. Er wird jedoch auch nichts gegen neue Freunde haben, vor allem, wenn sie deine Hilfe brauchen.“
Der Fuchs schaute weiter in den Himmel. Man sah ihm aber an, dass er über Peacocks Worte nachdachte.
„Mein Prinz würde von mir erwarten, dass ich helfe, wenn ich gebraucht werde“, sagte er leise.
„Siehst du?“, meinte der Pfau. „Schau sie dir an, unsere kleine Schar der Unglücklichen. Meinst du nicht, dass dir dazu etwas einfällt?“
Der Fuchs sah in die Runde und als alle ihn mit traurigen Augen ansahen, hatte er sogleich eine Idee.
„Ich sehe, ihr braucht dringend Rat und Hilfe, ihr lieben Tiere“, sprach er zu ihnen.
Alle nickten, der Pfau, die Ziege, der Hahn, der Esel, die Gans und das Schwein. „Mir fällt auch schon etwas ein. Von meinem Prinzen weiß ich, dass es jemanden gibt, der euch wieder so jung, schön und beweglich machen kann, wie ihr einmal ward, in glücklichen Zeiten. Es ist Meister Bonifatius, der verzaubert Tiere, die in Not geraten sind.“
„Wie schön“, riefen alle sechs im Chor.
„Seid ihr denn bereit, Erwachsenen und Kindern Freude zu bereiten?“
Alle nickten.
„Zu jeder Tages- und Nachtzeit? Bei Sturm, Regen und Schnee?“
Wieder nickten alle.
„Na gut. Jedoch müsst ihr drei Bedingungen erfüllen.“
Erwartungsvoll schauten sechs Augenpaare den Fuchs an, der plötzlich wieder sehr nachdenklich wirkte.
„Freunde müsst ihr sein. Und ihr müsst sieben sein.“
„Sechs Freunde sind wir schon“, überlegte der Pfau. „Wie sieht’s denn mit dir aus, Fuchs? Wenn du zu uns kommst, sind wir sieben. Das Lächeln deines Prinzen siehst du doch an jedem Ort. Und ein bisschen weniger Einsamkeit wäre auch für dich nicht verkehrt. Wo sechs sind, können auch sieben sein.“
Der Fuchs zögerte lange, dann hatte er sich entschieden.
„Wenn ihr meint, ich sollte dabei sein, dann will ich das auch. Die Sterne sind ja schließlich überall.“
Ein hörbares Aufatmen machte die Runde.
„Und die dritte Bedingung, Herr Fuchs?“, fragte die Gans ein wenig schüchtern.
„Ihr braucht, ich meine, wir … wir brauchen einen König.“
Sofort richteten sich alle Blicke auf den Pfau.
„Wer sonst käme in Frage als Peacock?“, stellte der Esel fest. „Schon allein wegen seiner blauen Brust und dem königlichen Kopfschmuck. Dagegen wird es wohl keine Einwände geben.“ Und das war auch so.
„Würdest du denn diese Bürde auf dich nehmen?“, wandte sich der Fuchs an den Pfau.
„Wenn ihr alle mir das zutraut, dann traue ich es mir auch zu und will euch ein würdiger König sein.“
„Gratulation“, krähte der Hahn und alle klatschten Beifall.
„Nun gut. Als König wende ich mich gleich mit einer Aufgabe an dich, Fuchs. Führe uns zu diesem Zauberer Bonifatius.“
Erwartungsvoll schauten wieder sechs Augenpaare den Fuchs an.
„Von meinem Prinzen weiß ich, wo wir ihn finden“, antwortete der. „Wir müssen der Sonne entgegen gehen. Irgendwann erscheint am Horizont ein grüner Kirchturm. Dann ist es nicht mehr weit. Doch geh du voran, König Peacock. Das gehört sich so für einen Herrscher. Als Letzter in der Reihe achte ich darauf, dass keiner zurück bleibt.“
„Wer hätte das vor ein paar Tagen gedacht?“, murmelte der Pfau und wanderte los, die anderen sechs trotteten hinterher.
Die Sonne stand schon sehr tief, als die Tiere in der Ferne den grünen Kirchturm erblickten und sie war bereits untergegangen, als sie einen kleinen See erreichten. Unwillkürlich blieben sie stehen, denn sie wurden geblendet von tausend und abertausend winzigen Lichtfiguren, die flimmernd aus der Mitte des Gewässers in die Höhe stiegen, in einer Leuchtspirale hinunterwirbelten, glitzernd im Wasser versanken, um dann gleich wieder aufzusteigen. Fasziniert schauten sie zu, wie das Lichtspiel immer wieder von vorne begann, so lange, bis die Kirchturmuhr zur Mitternacht schlug. In dem Moment waberte eine Nebelwolke hinunter, in der zunächst Augen und Mund zu erkennen waren, bis dann plötzlich ein Mann vor ihnen stand. Sein weißer Bart hing über einem dunklen Umhang. In der Hand hielt er einen Lichtstab. Kein Zweifel, das musste der Zaubermeister sein.
„Meine Elfen haben mir euer Kommen bereits angekündigt und mir mitgeteilt, dass ihr alle dringend Hilfe braucht“, sagte er sanft.
Mit seinem Stab leuchtete er von Gesicht zu Gesicht.  Auf dem von Peacock ließ er den Lichtschein ruhen.
„Ich sehe, du hast diese kleine Schar der Unglücklichen hierher geführt. Hast du mir etwas zu sagen?“
„Ja, Meister, das habe ich“, sagte der Pfau, trat einen Schritt auf Bonifatius zu und zitierte sein Sprüchlein, das er sich auf der langen Wanderung ausgedacht hatte.

„Ziege und Hahn, der Freundschaftskreis fängt an,
Esel, Gans und Schwein, alle kommen hinein,
Fuchs ist geblieben, so sind wir sieben,
Königsfedern in blau, trägt Peacock der Pfau.“

Während Peacocks Rede hatten sich die Tiere nacheinander in einen Kreis um den kleinen See herum aufgestellt. Der Pfau verbeugte sich vor dem Zauberer und trat an seinen Platz zwischen Ziege und Fuchs. Bonifatius war zufrieden. Er breitete seine Arme aus und sprach:

„Sieben kamen her,
Laufen fiel ihnen schwer,
Freunde groß und klein,
Jung sollen sie sein.
Hammsalabim.“


Dann schwebte er in seiner Wolke davon. Im gleichen Moment kehrte das Glück zu den Tieren zurück. Jedes wurde wieder jung und schön, die Ziege bekam ihre beweglichen Beine zurück, der Hahn seinen aufrecht gezackten Kamm, der Esel sein glattes Fell, die Gans ihren gesunden Flügel, das Schwein sein ordentlich geringeltes Schwänzchen, der Fuchs seine rötlich leuchtende Farbe und König Peacock sein prächtiges Pfauenrad in Türkis. In ihrer gewohnten Runde standen sie um eine Brunnensäule herum, von der es über spiralförmig umlaufende kleine Wasserräder sprudelte und spritzte. Sie blieben für immer zusammen, freuten sich am fröhlichen Lachen der Kinder, die mit ihnen spielten und amüsierten sich, wenn mehrere gleichzeitig auf ihrem König reiten wollten. An warmen Sommerabenden lauschten sie dem Flüstern der Liebespaare und in frostigen Winternächten erzählten sie sich Geschichten, von schweren und von glücklichen Zeiten, von den Tagen, an denen sie Freunde wurden und vor allem von dem Tag, an dem Bonifatius sie wieder jung zauberte. Und wenn sie nicht gestohlen sind, dann stehen sie noch heute auf dem Marktplatz neben der Kirche mit dem grünen Turm.

Erzählung aus dem E-Book: Hammfiction

Novemberdunst






Fotos: RH am 5. November 2014
auf dem Weg
entlang der Bahn 
zwischen Nordenfriedhof 
und Hafenstraße

Samstag, 1. November 2014

Kurpark am 1. November

Die Ahse im Kurpark
Kurhaus Bad Hamm

Allee im Kurpark

Altes Fährhaus an der Fährstraße




Fotos: RH am 1. November 2014 
im Kurpark Bad Hamm

"Nix is wie's scheint"
















Lichtkünstler:
Wolfgang Flammersfeld
aus Unna/Westfalen

Fotos: RH am 26. Oktober 
Video-Projektion
in der Elektrozentrale
im Maxipark Hamm
"Nix is wie's scheint"